Anwälte am Fließband starten einen Angriff

Während des Vorstellungsgesprächs wurde Jan Wildhirth schnell zweierlei klar: Die rigorose Hierarchie in großen Anwaltskanzleien war für den Bewerber ebenso erschreckend wie die professionelle Arroganz von Anwälten. Und Wildhirth war unsterblich in ihn verliebt. Mit einem Jura-Studium aus Großbritannien und einem Master in Computer Science obendrein hat der junge Mann genau die Schnittstelle bewohnt, für die er nun Verstärkung sucht. Gut, dass Wildhirth offenbar den idealen Rahmen für das Treffen gewählt hatte: Statt sich im Konferenzraum hinter verschlossenen Türen zu versammeln, tagte man im offenen Atrium neben der Bar. Für eine Tasse Tee saßen sie auf hohen Treppen mit Kissen statt Sesseln.

Wildhirth, Partner der Anwaltskanzlei Fieldfisher, hat seit Anfang dieses Jahres ein einzigartiges Ziel: ein 50-köpfiges Team namens Fieldfisher X in Berlins angesagtem Bürostandort „Edge“ aufzubauen. Ihre Aufgabe sollte es sein, ihre Firmenkunden gegen weit verbreitete Klagen zu verteidigen. Weil diese Situationen seit einigen Jahren auf dem Vormarsch sind. Mal kommen sie von wütenden Autokäufern wegen der Dieselthematik, mal von Bankkunden wegen unrechtmässiger Kontogebühren, mal von Opfern krimineller Kartelle. Da die Fälle viele Rechtsgebiete umfassen, soll die neue Abteilung der Anwaltskanzlei Fieldfisher mit den bestehenden Kartell-, Compliance- und Datenschutzexperten des Unternehmens zusammenarbeiten.

Freshfields verfolgt derzeit eine andere Strategie, um für sich selbst zu werben. Das Londoner Anwaltsunternehmen will bis zu 200 Anwälte in vier Universitätsstädten beschäftigen. Patrick Schröder, verantwortlicher Gesellschafter, fügt hinzu, dass sie gerade den Mietvertrag für die erste Filiale unterzeichnet habe, die im Herzen der für ihr Jura berühmten Studentenstadt Münster entstehen wird.

Beide Kanzleien gehen davon aus, dass das Geschäft mit Sammelklagen auch nach Abklingen des Dieselstreits profitabel bleiben wird. Und beide wollen helfen, auch wenn die Firmen versuchen, Rechtsstreitigkeiten durch Produktrückrufe oder Vergleichszahlungen zu verhindern. Große Anwaltskanzleien lockern sogar ihre schwerwiegenden Rekrutierungshindernisse, um so schnell wie möglich das notwendige Personal zu bekommen. Für eine Anstellung bei der Münsteraner Freshfields-Tochter genügt ein bestandener Test. Dies setzt die Bereitschaft voraus, zu den vielen Gerichtsverhandlungen zu gehen. Die Arbeitsverträge haben eine Laufzeit von zwei Jahren. Das Jahresgehalt soll bei etwa 100.000 Euro liegen, also deutlich mehr als in manch anderer namhafter Anwaltskanzlei – aber auch wettbewerbsbedingt deutlich niedriger als in der Muttergesellschaft.

Dies lässt sich vor allem durch die unterschiedliche Vergütungspraxis in Massenfällen erklären. Freshfields kassierte zunächst seine üblichen Stundensätze, musste sich aber schließlich mit der Abrechnung auf der Grundlage der wesentlich niedrigeren gesetzlichen Gebührenordnung begnügen. Als sich die eigene Macht der teuren aristokratischen Absolventen als unzureichend erwies, nahm Freshfields die Hilfe sogenannter Projektanwälte in Anspruch. Sie wären normalerweise mit ihren niedrigeren Tests nicht zu Freshfields gewechselt und werden nur vorübergehend zur Unterstützung hinzugezogen. Als diese Hilfe nicht mehr ausreichte, beauftragte der Branchenführer 18 weitere namhafte Anwaltskanzleien, darunter Noerr, Luther, DLA Piper und Heuking, mit der Bearbeitung der VW-Diesel-Angelegenheiten für Freshfields.